Nach unaufgeklärtem Blackout: Spanische Atomlobby sieht ihre große Chance
Nach dem Mega-Stromausfall setzt die spanische Opposition alles daran, die Energiewende dafür verantwortlich zu machen. Ihre Alternative: Atomstrom.
Sie alle beschuldigen die erneuerbaren Energien, verantwortlich für den Zusammenbruch der Stromversorgung zu sein, allen voran die Solarenergie. Zum Zeitpunkt des Ausfalls kamen 58 Prozent des Stroms aus Photovoltaikanlagen, 13 Prozent aus Windparks. Die vier von insgesamt sieben AKW, die gerade am Netz waren, lieferten 13 Prozent. Der Rest kam von Wasser- und Gaskraftwerken.
Das Netz habe die viele Energie aus Erneuerbaren nicht bewältigen können und deshalb gestreikt, lassen die rechten Parteien verbreiten. Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez habe vor dem Blackout höchstpersönlich angeordnet, dass der Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen müsse – koste es, was es wolle. „Das Experiment von Sánchez, das Spanien fast zum Kollabieren brachte“, betitelt ein Online-Medium aus dem Umfeld der rechten Opposition eine der Falschmeldungen.
„Der Anteil an Erneuerbaren am Strommix war in jenem Tagen bei weitem nicht am höchsten“, erklärt ein Sprecher des Energieministeriums auf Nachfrage. Das Netz habe bislang mit bis zu 100 Prozent Erneuerbaren immer wieder perfekt funktioniert.
Ursachenforschung läuft noch
Warum das System versagt habe, ist weiter unklar. Fest steht: Dem Blackout um 12:33 Uhr gingen drei heftige Schwankungen im Südosten der iberischen Halbinsel binnen drei Minuten voraus. 15 der insgesamt 25 nachgefragten Gigawatt brachen weg, das Stromnetz fiel aus, die Verbindung nach Frankreich und damit nach Europa wurde automatisch gekappt. Die Linkskoalition unter dem Sozialisten Pedro Sánchez hat Untersuchungskommissionen zum Versorgungssystem und zur Cybersicherheit gestartet. Ebenso wie europäische Institutionen forschen sie nach den Ursachen.
Keine Möglichkeit sei auszuschließen, so das Ministerium: weder ein technischer Fehler noch menschliches Versagen bei den Netzbetreibern oder den Stromerzeugern. Auch ein Cyberangriff sei nicht endgültig vom Tisch – wenn auch unwahrscheinlich.
Die Opposition besteht aber auf ihren einfachen Antworten: „Die Regierung hat versucht, uns so schnell wie irgend möglich einen Übergang von stabilen Energieformen wie etwa die Atomenergie und Gas zu anderen wie Sonne und Wind aufzudrücken“, erklärt ein Sprecher der rechtsextremen VOX. Die PP bedauert, dass die Regierungen die AKW bis 2035 nach und nach abschalten wolle.
AKW zu schwerfällig
Sánchez selbst sagte vor dem Parlament: „Die AKW waren nicht die Lösung, sondern ein Problem.“ Als das Netz in die Knie ging, schalteten sie sich aus Sicherheitsgründen ab. Und als später alles wieder langsam hochgefahren wurde, kam zunächst Strom aus Frankreich und Marokko, dann aus Wasserkraft und Gas, gefolgt von Wind und am nächsten Morgen den Solarkraftwerken. Zuletzt lieferten die AKW wieder – ihr An- und Abschalten braucht Zeit.
Hinzu kommt: Zum Zeitpunkt des Blackouts waren nur vier AKW am Netz, weil Atomkraft nicht wirtschaftlich ist. Atomlobby und PP fordern deshalb auch, Steuern und Abgaben zu senken, um Atomstrom gegenüber den billigen Erneuerbaren annähernd wettbewerbsfähig zu machen. „Die AKW müssen eine gigantische Abgabenlast ertragen, die es ihnen immer wieder unmöglich macht, am Markt Erfolg zu haben“, erklärt der Vorsitzende der Lobbyorganisation Foro Nuclear, Ignacio Araluce.
Die Regierung wirft Atomlobby und Opposition vor, die Betriebs- und Folgekosten der Atomenergie auf den Steuerzahler abwälzen zu wollen, und besteht auf dem Atomausstieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Diskriminierung in der Bahn
Rollstuhlfahrer aus dem Zug gezerrt
Schwarz-rote „Asylwende“
Symbolische Grenzpolitik
Eurovision Song Contest
Zwiespältige eurovisionäre Illusion
Fünf Prozent für die NATO
Ein Blankoscheck für die Rüstungsindustrie
Beschluss des Parlaments
Belgien macht Atomausstieg rückgängig
Israel beim Eurovision Song Contest
Der Wunsch nach Eskapismus